Brot – Kulturgut und Bakteriennahrung
Brot als Bakteriennahrung
Was hat Brot mit unserem Mikrobiom zu tun? Zweierlei: Erstens ist Brot einer der besten Lieferanten für Ballaststoffe, also Bakteriennahrung. Zweitens, und das ist vielen Menschen gar nicht bewusst, könnten wir unser Brot ohne die Hilfe unseres Mikrobioms gar nicht herstellen. In diesem Fall ist ausnahmsweise nicht das Mikrobiom im menschlichen Darm gemeint, sondern das Mikrobiom, das immer und überall um uns herum für uns unsichtbar lebt und wirkt. Das macht Brot in zweierlei Hinsicht interessant – für uns als Genuss-Esser, aber auch für uns als Hobby-Mikrobiologen.
In diesem Artikel möchte ich mich auf den unvergleichlichen Genuss, den gutes Brot uns bietet, konzentrieren. Vor allem Vollkornbrot versorgt uns und Mikrobenfreunde mit einer riesigen Menge an Ballaststoffen. Aber auch ganz normales Weißbrot hat “es” in sich, nämlich resistente Stärke, die ebenfalls zu den Ballaststoffen zählt. Hundert Gramm Vollkornbrot enthalten, je nach Getreidesorte und Verarbeitung, ungefähr sieben bis neun Gramm Ballaststoffe. Die DGE empfiehlt eine tägliche Aufnahme von mindestens dreißig Gramm Ballaststoffen. Mit zwei Scheiben Vollkornbrot hast du davon schon ein Drittel abgedeckt!
Köstliches Kulturgut
Eines der besten Dinge, die Deutschland zu bieten hat, ist unser leckeres Brot. Ich habe bisher noch in keinem Land der Welt eine derartige Vielfalt an köstlichen Broten gesehen, regional verschieden, von hell bis dunkel, rund, eckig oder in Miniaturform als Brötchen. Mit Körnern, Saaten, Schrot, Flocken oder anderen Zutaten verfeinert. In Deutschland sind über 3000 Sorten registriert. Wenn ich meinen Urlaub im Ausland verbringe, ist gutes Brot das Erste, das ich vermisse. Auf mein geliebtes Brot möchte ich auf gar keinen Fall verzichten!
Unser gutes Brot ist so wichtig und wertvoll, dass es sogar ein Deutsches Brotinstitut gibt. Die Startseite ziert ein wunderschönes Zitat:
“Der Geruch des Brotes ist der Duft aller Düfte. Es ist der Urduft unseres irdischen Lebens, der Duft der Harmonie, des Friedens und der Heimat.” (Nobelpreisträger Jaroslav Seifert, 1901-1986)
Mein heißgeliebtes Brot ist leider von zwei Seiten stark in Bedrängnis geraten. Auf der einen Seite sorgt die industrielle Verarbeitung in Großbäckereien dafür, dass immer mehr minderwertiges Brot angeboten wird. Die günstigen Preise und die leichtere Verfügbarkeit sorgen dafür, dass immer weniger kleine Bäckereien überleben können, die noch gutes, echtes Brot backen. Auf der anderen Seite unterstützt die schlechte Bekömmlichkeit dieser “Brote” eine nie dagewesene anti-Brot-Kampagne, die uns alle verunsichert und den Genuss von Brot quasi als Verbrechen gegen die eigene Gesundheit brandmarkt.
Müssen wir uns Sorgen machen und auf Brot verzichten?
Ist Brot ungesund?
Es werden immer mehr Stimmen laut, die Brot per se verteufeln. Ganz besonders arg gebeutelt ist das arme Brot aus Weizen. Es mag sich irgendwann herausstellen, dass Getreide für den Menschen tatsächlich ein ungeeignetes Nahrungsmittel ist, und damit auch Brot nicht optimal für unsere Ernährung ist. Ich persönlich glaube allerdings nicht daran. Brot gibt es schon so lange Zeit, insbesondere Weizenbrot. Wenn Brot uns wirklich schadet, warum dann erst jetzt und nicht schon seit 22.000 Jahren? So lange backt die Menschheit nämlich schon Brot, wie du zum Beispiel auf der Webseite des Brotinstituts lesen kannst.
Die ersten Brote wurden aus den Samen wilder Gräser gebacken. Seit über 10.000 Jahren wird allerdings Weizen angebaut. Der Anbau von Getreide trug mutmaßlich dazu bei, dass die umherziehenden Nomadenstämme sesshaft wurden. Nach Gerste ist Weizen die am zweitlängsten kultivierte Getreideart. Seit 10.000 Jahren werden wir Menschen also durch den Verzehr von Brot bzw. Weizen immer dicker und dümmer? Entscheide selbst, ob du daran glaubst.
Natürlich sind nicht alle Argumente gegen Weizen unberechtigt. Speziell beim Weizen ist möglicherweise die starke Veränderung durch Zucht problematisch. Bei der Menge an Weizen, die weltweit verzehrt wird, ist es natürlich sehr lukrativ, an seinen Eigenschaften zu schrauben, zum Beispiel an der Widerstandsfähigkeit gegen Herbizide wie Roundup. Das ist vielleicht schön für die Anbieter von Weizen, aber schlecht für den Boden, die Natur und sicherlich auch für uns Menschen. Wenn du dieses Problem umgehen möchtest, kannst du zum Beispiel auf Dinkel ausweichen, der noch nicht so konventionell angebaut wird und deshalb möglicherweise weniger stark manipuliert wurde.
Abgesehen vom Anti-Weizen-Trend: Nur wenige Brote sind aus reinem Weizenmehl hergestellt, Brötchen, Toastbrot und Baguette beispielsweise. Ein gutes Bauernbrot oder Vollkornbrot dagegen besteht zumindest zum Teil oder auch komplett aus Roggen oder Dinkel.
Mein Fazit: Kein Brot ist per se ungesund, egal ob weiß oder vollwertig. Wenn du das Gefühl hast, Weizen schlecht zu vertragen, kannst du auf andere Getreidearten ausweichen, die nur ein wenig teurer sind. Giftstoffe in der Schale von Vollkorngetreiden lassen sich durch den Kauf von Bioprodukten vermeiden. Zu schlechter Bekömmlichkeit führt vor allem die industrielle Verarbeitung von Brot – auch dafür gibt es Lösungen, die ich dir in diesem Artikel noch vorstelle.
Frei von… Geschmack?
Ich denke, dass die Panikmache rund ums Brot vor allem von der Industrie befeuert wird, die eine Menge Geld mit der Anti-Weizen-Kampagne und der Idee, “normales” Brot sei ungesund, verdient. Weizen ist ergiebig(deshalb auch günstig) und unkompliziert in der Verarbeitung. Weizen enthält aber bekanntermaßen eine recht hohe Menge an Klebereiweiß – Gluten. Dieses sorgt dafür, dass ein Teig aus Weizenmehl sich perfekt verarbeiten lässt und beim Aufgehen Luftbläschen fest einschließen kann. So einen Teig solltest du übrigens unbedingt einmal in deinen Händen gehalten haben. Weich, warm und beinahe erotisch schmiegt er sich an deine Hände.
Ja, es gibt sie, Menschen mit einer echten Zöliakie oder einer Weizensensitivität. Oft wird diese nicht diagnostiziert, es existiert also auch eine Dunkelziffer. Wesentlich höher ist allerdings die Anzahl der Menschen, sich bei sich selbst eine “Zöliakie” vermuten und deshalb ohne echte Diagnose oder auch gern vorbeugend auf alle Lebensmittel, die Gluten enthalten könnten, verzichten.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung kämpft vergeblich gegen die Selbstdiagnose Unverträglichkeit an: “Allein für lactosefreie Lebensmittel lag der Umsatz im Jahr 2014 bei 285 Mio. EUR und für glutenfreie Lebensmittel bei 105 Mio. EUR. Tendenz steigend. Immer mehr Menschen greifen zu Lebensmitteln, die frei von Gluten oder Lactose sind – ohne dass eine medizinische Notwendigkeit besteht.”
Leider ist es nicht besonders schick, einfach eine ausgewogene Ernährung zu empfehlen. Viel besser kommen die sehr lauten Stimmen der Ernährungsextremisten an, die uns alle aus Geldgier zu Dauerpatienten mit allen möglichen Unverträglichkeiten machen möchten.
Viele geplagte Menschen lassen sich beeinflussen und würgen ein lebloses, überteuertes “Frei von…”-Produkt hinunter, anstatt in ein knuspriges, duftendes, frisch gebackenes Brot zu beißen. Für Backen ohne Gluten wird empfohlen, verschiedene relativ exotische Mehlsorten zu mischen. Zum Vergleich: Das Kilo Weizenmehl in Bio-Qualität kostet bei Amazon 1,77 Euro. Bei der Suche nach glutenfreiem Mehl finden wir zum Beispiel Bio-Traubenkernmehl (EUR 17,80/kg), Bio-Teffmehl(EUR 1,22/kg) und Bio-Quinoa-Vollkornmehl (EUR 24,78/kg). Das Quinoamehl ist also vierzehnmal so teuer wie Bio-Weizenmehl! Ein ähnliches Preisgefüge finden wir bei glutenfreien Nudeln, Frühstücksflocken, Broten und Brötchen, Süßigkeiten und was auch immer es mittlerweile noch alles in glutenfrei gibt. Onlineshops, die sich auf glutenfreie Produkte spezialisiert haben, schießen wie Pilze aus dem Boden.
Weizen ist das weltweit am zweithäufigsten angebaute Getreide (die Nummer eins ist Mais). Nun stell dir vor, welch riesige Gewinne hier abgeschöpft werden könnten, wenn Weizen weltweit durch andere Getreidearten ersetzt würde, die für den Verbraucher wie im Beispiel oben vierzehnmal so teuer sind!
Der Trend “frei von…” boomt. Dabei ist eine glutenfreie Ernährung für Menschen ohne echte Zöliakie oder Weizenunverträglichkeit nicht nur immens teuer, sondern auch noch ungesund. Erstens durch eine Minderung der Lebensqualität (knuspriges Baguette gegen Pseudobrötchen, frei von Geschmack?). Zweitens fördert diese vermeintlich gesündere Lebensweise aber auch noch Herzkrankheiten, wie die Uniklinik Freiburg postet, weil sie den Verzehr von gesundem Vollkorngetreide ausschließt.
Ist Brot wirklich unser Problem?
Unsere Probleme mit der Verdauung und unserer Gesundheit kommen mit Sicherheit nicht davon, dass wir Brot verzehren. Die Ursachen liegen anderswo und sind vielfältig. Unverträglichkeiten und deren Ausbreitung sind nicht die Krankheit, sondern nur das Symptom. Ich persönlich glaube nicht, dass es die Menschheit weiterbringt, auf immer mehr Lebensmittel zu verzichten, die uns immerhin bis hierher gebracht haben. Viele Menschen vertragen heute schon keine Lactose, kein Gluten und keine Nüsse mehr. Was kommt als nächstes? Was wird am Ende übrigbleiben? Wir müssen da wohl schon etwas tiefer gehen in unseren Überlegungen.
Brot und Weizen sind schon seit Jahrtausenden ein Hauptbestandteil unserer Nahrung. Daran hat sich wenig geändert, vor allem nicht in den letzten Jahrzehnten. Andere Dinge haben sich in dieser Zeit aber sehr wohl verändert. Unser schwindendes Mikrobiom ist sicher ein großer Teil dieser Problemkette. Durch den übermäßigen Einsatz von Antibiotika und den Mangel an Ballaststoffen haben wir seine Vielfalt auf ein Maß reduziert, das vielleicht nicht mehr in der Lage ist, unsere Nahrung perfekt zu verarbeiten. Dazu kommen Umweltgifte, der Einsatz von Herbiziden und Pestiziden im Anbau, und stetig zunehmender Stress im Alltag. Mit Sicherheit spielt auch die fortschreitende industrielle Verarbeitung unserer Lebensmittel eine große Rolle. Die Industrie schreibt heute uns vor, was wir zu essen haben. Es soll vor allem billig herzustellen sein und am besten nicht besonders satt, aber gern süchtig nach mehr machen.
Brot ist ein gutes Beispiel dafür. Es wurde früher zuhause gebacken, später dann in kleinen Bäckereien. Heutzutage läuft alles in Großbackstuben und industriellen Betrieben ab. Ist das wirklich noch dasselbe Brot?
Brot aus der Großbäckerei
Letzten Samstag habe ich als Brot-Fan und angehender Hobbybäcker an einem Brotbackkurs teilgenommen. Unsere Kursleiterin erklärte uns, warum Brot heutzutage für viele Menschen nicht mehr bekömmlich ist: Es fehlt die wichtigste Zutat: Zeit. In der traditionellen Brotbackkunst nennt man das “lange Teigführung”. Wie ist das nun in der industriellen Brotherstellung mit der Zeit?
Du hast vielleicht schon den Begriff FODMAP (Fermentable Oligosaccharides, Disaccharides, Monosaccharides and Polyols) gehört. Das sind spezielle Zucker, die auch im Getreide vorkommen, und nicht im Dünndarm abgebaut werden können. Sie gelangen deshalb in den Dickdarm und können dort Beschwerden verursachen. Patienten mit häufigen, schmerzhaften Blähungen berichten oft von einer Linderung, wenn sie in ihrer Ernährung herkömmliches Brot durch Brot aus alten Getreidesorten ersetzen, zum Beispiel Dinkel, Emmer oder Einkorn. Letztere sind die Vorfahren unseres Weizens.
Die Uni Hohenheim fand Erstaunliches heraus, nämlich dass diese alten Getreidesorten gar nicht weniger FODMAPs besitzen! Wenn die Getreidesorte also nicht entscheidend ist, wo liegt dann der Unterschied?
Die Uni Hohenheim faDie Uni forschte weiter und fand die Antwort auf diese Frage. Alte Getreidesorten werden in der Regel nicht in Großbäckereien und in der Massenfertigung benutzt, sondern eher in kleinen, traditionellen Backbetrieben. Sie sind teurer als Weizen und schwieriger zu verarbeiten. Die höhere Bekömmlichkeit dieser speziellen Brote liegt nicht an der Getreidesorte, sondern vor allem an der besagten langen Teigführung, bei der diese Zuckermoleküle höchst effektiv aufgespalten werden. Diese zeitintensive Art zu backen findet man eher in kleinen Betrieben – oder bei passionierten Hobbybäckern.
Im industriellen Betrieb soll das Brot oder Brötchen(das heißt bei uns in Bayern übrigens “Semmel”) möglichst schnell den Herstellungsprozess durchlaufen. Große Mengen an Hefe helfen dabei. Diese lässt den Teig blitzschnell aufgehen und schon eine Stunde später kann das Brot in den Ofen geschoben werden.
Doch Achtung, jetzt kommt der Clou: Nach einer Stunde ist der Anteil an FODMAPs am höchsten! Und zwar bei allen Getreidesorten. Das ist es, was Brot aus Massenproduktion so schwer verdaulich macht, und nicht das verwendete Getreide oder gar das Brot selbst.
Bekömmliches Brot, traditionell gebacken
Schon nach vier Stunden Gehzeit liegt die gemessene Menge von FODMAPS bei nur noch zehn Prozent im Vergleich zum Test nach einer Stunde. Für diesen Abbau ist Hefe verantwortlich.
In der traditionellen Bäckerei wird oft Sauerteig eingesetzt, um das Brot aufgehen zu lassen. Im Sauerteig wird zwar keine Backhefe zugegeben, an deren Stelle tritt aber “wilde Hefe”, die mit einer ganzen Armee von Milchsäurebakterien zusammenarbeitet. Wilde Hefe und Milchsäurebakterien befinden sich überall um uns herum und gelangen zusammen in den Sauerteigansatz, wo sie ihr magisches Wirken beginnen, nämlich das schwer verdauliche Getreide für uns vorzuverdauen und dabei praktischerweise den Teig aufgehen zu lassen. Ohne eine lange Teigführung würde das so nicht funktionieren.
Abgesehen von Sauerteig wird auch Backhefe Hefe verwendet, ausschließlich oder auch zusätzlich. Allerdings in so faszinierend winzigen Mengen wie bei diesem Rezept, so dass in Blogs sehr oft die Frage auftaucht, ob sich der Autor nicht verschrieben habe. Hat er nicht. Weil der Teig lange genug gehen darf, reicht diese homöopathische Menge vollkommen aus. Die Hefe vermehrt sich fleißig und macht dabei die FODMAPs unschädlich.
Mein Fazit: Gezielt shoppen oder selbst backen!
Wenn du konventionelles Brot schlecht verträgst, suche dir eine kleine Bäckerei, in der noch selbst gebacken wird – dort kannst du fragen, wie lange die Teige vor dem Backen garen dürfen.
Oder du gönnst dir ein ganz besonderes Vergnügen und backst dein Brot einfach mal selbst! Ein kleiner Tipp: Die Teilnahme an einem Brotbackkurs macht nicht nur Spaß, sondern ist auch enorm hilfreich für uns Anfänger. Meine ersten Versuche habe ich allein gestartet, auch das hat ganz gut geklappt. Aber erst im Kurs konnte ich sehen, wie unkompliziert das Backen eigentlich ist (wenn man es dann beherrscht) und wie so ein Sauerteig korrekterweise aussehen und riechen sollte.
Getreide-Produkte
Ballaststoffreiche Getreideprodukte als Basis für eine mikrobiomfreundliche Ernährung.
Roggen
…macht Bauernbrot so lecker
Sauerteig
Mikrobiologie in der Küche