Der Darm
Unser zweites Gehirn
Der Darm – ein Wunderwerk der Natur
Unser Verdauungssystem ist ein unglaublich interessantes Thema. Insbesondere der Darm und seine Funktionen sind absolut faszinierend, wenn man sich ein wenig näher damit befasst. Das Thema ist vielleicht nicht immer ganz geeignet für Smalltalk zwischendurch. Dennoch ist es im Interesse der eigenen Gesundheit ganz praktisch, ein wenig darüber zu wissen, wie unsere Verdauung funktioniert. Bereits ein kleiner Wissensschatz ist hilfreich, um Krankheiten oder Unwohlsein selbst besser einschätzen zu können.
Während die Verdauung früher als rein mechanischer Vorgang betrachtet wurde, weiß man spätestens seit der Entdeckung des Mikrobioms, dass es noch wesentlich mehr zu dem Thema zu lernen gibt.
“Der Darm hat Fähigkeiten, die die aller anderen Organe übertreffen und sich sogar mit manchen Funktionen des Gehirns messen können.”
Prof. Emeran Mayer
Der Darm besitzt ausgebreitet eine Fläche von ungefähr 400 Quadratmetern. Das klingt unglaubwürdig, wenn man bedenkt, dass ein Organ mit der Fläche eines mittelgroßen Grundstücks bequem in unserer Bauchhöhle Platz haben soll. Diese große Fläche errreicht der Darm durch mehrere Effekte. Zum Einen legt er sich in Falten und schafft allein dadurch mehr Oberfläche. Zusätzlich erheben sich pro Quadratmillimeter Darmhaut dreißig winzig kleine Zotten in die Höhe, auch Mikrovilli genannt. Diese sind nur ca. 0,08 µm dick und etwa 1-4 µm lang und nicht mehr mit bloßem Auge erkennbar. Auf diesen Zotten sitzen noch mehr Zotten, die sich an ihren Enden hirschgeweihartig verzweigen (Glykokalix). Diese große Oberfläche braucht der Darm, um sich eingehend mit allem beschäftigen zu können, was von außen in unseren Körper gelangt. Diese und weitere spannende Informationen über den Darm findest du im Buch Darm mit Charme.
Ein bewegendes Erlebnis für unser Essen
Der Darm besitzt eine Ummantelung aus glatter Muskulatur, die wir nicht bewusst kontrollieren können. Diese Muskulatur wird vom enterogenen Nervensystem, also dem Nervensystem des Darms, gesteuert. Jeder andere Körperteil würde ohne eine Verbindung zum Gehirn nicht mehr funktionieren. Dem Darm ist dies durch sein eigenes Nervensystem jedoch möglich. Durch die Kombination aus dem Nervensystem und seiner sehr fein arbeitenden Muskulatur bewegt der Darm unsere Nahrung.
Nach der Verkleinerung im Magen gelangt unser Essen zunächst in den Dünndarm. Dieser besteht aus Zwölffingerdarm, Leerdarm und Krummdarm und ist bis zu 5 Meter lang. Mit Hilfe von Enzymen aus Bauchspeicheldrüse und Leber löst der Dünndarm Fette auf und zerlegt den Speisebrei in kurzkettige Moleküle. Diese werden durch die Darmwand aufgenommen und gelangen in den Blutkreislauf, “in etwa wie Harry Potter auf Gleis 9 3/4” (Giulia Enders). Der Dünndarm wird dabei ziemlich handgreiflich, knetet die Masse ordentlich durch und schiebt sie konsequent vorwärts. Im Dünndarm gibt es ein Zurück nur im Falle des Erbrechens.
Im Dickdarm ist das anders. Hier landet nur, was im Dünndarm nicht absorbiert werden konnte. Der Dickdarm schiebt die Nahrungsreste manchmal vor und zurück und nimmt dabei sogar auf uns und unsere Mikrobenfreunde Rücksicht. Er lässt den Darmbakterien genügend Zeit für ihre Mahlzeit. Wenn gerade keine Toilette in der Nähe ist oder die Gelegenheit für uns unpassend erscheint, behält er seinen Inhalt eben noch ein Weilchen für sich. Dabei entzieht er ihm in aller Ruhe die Flüssigkeit, die der Körper während des Verdauungsvorgangs zugeführt hat.
Der kleine Haushälter
Ungefähr eine Stunde nachdem die Nahrung aus dem Dünndarm verschwunden ist, beginnt ein Reinigungsprozess. Wer sich ein wenig damit befasst, dem wird klar, dass Entschlackung und Darmreinigung mit Hilfe teurer Mittelchen ziemlicher Unsinn sind. Der Darm reinigt sich nämlich von ganz allein und völlig kostenlos auf wunderbare Art und Weise.
Zu Beginn der großen Putzaktion werden übriggebliebene Reste vom Magenpförtner aus dem Magen in den Dünndarm gefegt, zum Beispiel magensaftresistente Tabletten oder vermutlich auch verschluckter Kaugummi. Der Dünndarm bewegt sich nun in kräftigen Wellen und schiebt alle Reste in Richtung Dickdarm. Manchmal kann man diesen Vorgang sogar hören und fühlen – wir nehmen ihn als Magenknurren wahr.
Wichtig zu wissen ist, dass wir unserem Dünndarm auch die nötige Zeit geben sollten, um sich zu reinigen. Je nachdem, wie schwer verdaulich die Nahrung war, desto mehr Zeit braucht der Dünndarm, um das Essen zu verdauen und seine Putzaktion zu starten. Fleisch und Fett sind besonders schwer verdaulich. Wenn wir wieder etwas essen, bevor der “kleine Haushälter” mit seiner Arbeit fertig ist, stoppt er die Reinigung sofort. Dies ist einer der Gründe, warum sich zwischen den Mahlzeiten eine Pause von einigen Stunden empfiehlt und zwischendurch Knabbern eher ungünstig ist.
Der Darm – ein riesiges Sensorfeld
Der Darm ist ein Sinnesorgan und Hochleistungs-Informationszentrum. Er sammelt in jeder Sekunde unglaubliche Mengen an Daten. Das schafft er durch eine riesige Menge winziger Rezeptoren, auch Sinneszellen genannt, die in der Darmwand stecken. Einige von diesen Zellen sind die gleichen Geschmacks- und Geruchsrezeptoren, die sich auch im Mund, auf der Zunge und in der Nase befinden. Diese Sensoren reagieren zum Beispiel auf den Geschmack “süß”, indem sie die Produktion von Insulin und die Aufnahme von Glucose ankurbeln. Die Wissenschaft vermutet jedoch auch, dass diese Rezeptoren auf die Stoffwechselprodukte unserer Mikrobiota reagieren. Unsere Darmbakterien könnten also auf diese Weise Botschaften an unser Gehirn senden.
Diese Sensoren in der Darmwand sind mit dem Inneren des Darms durch endokrine Zellen verbunden, die in der Darmschleimhaut beheimatet sind. Endokrine Zellen produzieren Hormone, die entweder unmittelbar auf benachbarte Zellen wirken können oder über den Blutkreislauf an weiter entfernte Zellen gesendet werden. Das eine Ende dieser Zellen kommt in Kontakt mit dem Darminhalt, das andere leitet die empfangenen Informationen in Form von Hormonen an die Rezeptoren der Darmwand weiter. Die Rezeptoren im Darm sprechen auf diese Botschaften an und wandeln sie ihrerseits in Reize um.
Diese Reize werden zum Einen als elektrische Impulse an das enterische Nervensystem (das Nervensystem des Darms) oder über den Vagusnerv an das Gehirn weitergegeben. Zum Anderen entstehen Signale oder Informationen aber auch durch die Freisetzung von Hormonen. Diese dienen als Botenstoffe und und lösen weitere Reaktionen im Darm, in anderen Organen oder auch im Gehirn aus.
Faszinierend ist allein schon die Menge an Sensoren, die der Darm enthält. Eine Fläche von 400 Quadratmetern, die über und über mit Rezeptoren bestückt ist. Eine riesige Datenmenge kann auf diesem Weg gesammelt werden. Da der Darm ein vollkommen eigenständiges Nervensystem besitzt, ähnlich dem des Gehirns, übt er auch die meisten seiner Funktionen selbständig und vollkommen unabhängig vom Gehirn aus. Er sendet nur einen Teil der Informationen an das gehirn. Dieses ist jedoch ständig im Überwachungsmodus und empfängt diese vielen Signale vom Darm, ohne im Normalfall aktiv ins Geschehen einzugreifen.
Der Darm als Serotoninspeicher
Das “Wohlfühlhormon” Serotonin steuert viele Funktionen. Es ist vor allem dafür bekannt, dass es einen Einfluss auf unsere Stimmung hat. Antidepressiva können zum Beispiel wirken, indem sie die Aufnahme von Serotonin blockieren und dafür sorgen, dass immer genug davon im Körper freigesetzt ist. Serotonin regelt unseren Schlaf, Appetit und unsere Schmerzempfindung.
Weniger bekannt ist, dass Serotonin auch die Darmfunktion unterstützt. Tatsächlich ist der Darm der Vorratsspeicher für 95 Prozent des Serotonins im Körper. Serotonin bildet der Körper aus der Aminosäure L-Tryptophan. Diese kann nicht vom Körper selbst hergestellt werden, sondern muss mit der Nahrung in den Körper gelangen. Es kommt nur in sehr kleinen Mengen in Lebensmitteln vor. Darunter sind allerdings viele, die ohnehin zum Mikrobiom-Superfood zählen. Darunter sind Nüsse, Getreide, Hülsenfrüchte, aber auch Käse, Fisch und Fleisch zu finden. Mit einer ausgewogenen mediterranen Kost liegt man also in Sachen Serotoninproduktion bereits goldrichtig.
Gehirn an Darm: Achtung Ausnahmezustand!
Extreme Emotionen wie Wut, Furcht oder Trauer erzeugen eine koordinierte Reaktion in unseren Organen, so auch dem Darm. Dort lösen sie Symptome aus wie Übelkeit, Blähungen oder Schmerzen. Nimmt das Gehirn eine Bedrohung wahr, so schüttet es über den Hypothalamus das Stresshormon CRF (Cortocotrupin Releasing Factor) in großen Mengen aus. Zusätzlich werden weitere Hormone wie Adrenalin, Cortison und Noradrenalin freigesetzt. Damit versetzt das Gehirn den Körper in Alarmbereitschaft. Für den Darm bedeutet das, wir werden empfänglicher für seine Signale, was sich als Bauchschmerzen äußert. Gleichzeitig schickt das Gehirn eine klare Botschaft an das enterische Nervensystem. In dem Fall beenden die Verdauungsorgane ihre alltägliche Arbeit, die sie im Normalfall selbständig durchführen. Jetzt zählt allein der Befehl einer höheren Instanz, dem eindeutig Folge zu leisten ist.
Bei Gefahr versucht der Darm, uns so schnell wie möglich von Ballast zu befreien und entleert sich. Durchfall ist die Folge. Wir haben zum Beispiel Angst vor einer Prüfung und müssen deshalb ausgerechnet im ungünstigsten Moment das Örtchen aufsuchen. Durch Wut und Ärger wird mehr Magensäure produziert. Trauer dagegen lähmt unser Verdauungssystem.
All das sind ganz normale Reaktionen auf Stimmungsänderungen. Problematisch wird es jedoch, wenn wir dauerhaft in einer dieser Ausnahmesituationen sind. Oder wenn die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn auf irgendeine Weise gestört ist. Dann kann das Gehirn dauerhaft falsche Signale ans Verdauungssystem senden und damit unsere Gesundheit beeinträchtigen. Unser Gehirn speichert eine Vielzahl an Informationen aus Notsituationen. Es wäre daher möglich, auf eine bestimmte Speise mit Unverträglichkeitssymptomen zu reagieren, allein weil sich unser Gehirn gemerkt hat, dass wir diese Speise zuletzt in einer schlimmen Situation gegessen haben.
Wer mehr zu dem Thema wissen möchte, sollte unbedingt das Buch Das zweite Gehirn von Prof. Emeran Mayer lesen.
Das Mikrobiom
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